S wie sehnsüchtig
Die Sehnsucht hat ein ganz besonderes Talent. Ihr gelingt es, positive und negative oder schmerzende Gefühle miteinander zu vereinen. Wer sehnsüchtig auf etwas wartet, verspürt womöglich Vorfreude und Nervosität zugleich. Oder Liebe und Zweifel. Möglicherweise aber auch Erleichterung und (Abschieds-)Schmerz. Ist die Sehnsucht also ein Gefühl mit zwei Gesichtern?
Die Sehnsucht beschreibt zuallererst einmal ein ungestilltes Verlangen. Je nachdem, wonach wir uns sehnen, fühlt sich dieses Verlangen schmerzhaft, aufregend, nervenaufreibend oder zermürbend an. Zugleich wird die Sehnsucht oftmals von einer großen Leidenschaft für etwas oder jemanden begleitet – und adressiert somit einen vergangenen oder aber einen zukünftigen Zustand. Während die Sehnsucht unserer Gegenwart also tendenziell eher mit einem negativen Gefühl einhergeht (Ungeduld, Leid, Wehmut, Schmerz oder Unzufriedenheit), setzen wir die Sehnsucht der Vergangenheit oder der Zukunft mit positiven Emotionen gleich (Erleichterung, Glück, Zufriedenheit, Bestätigung oder Freude). Ein Beispiel: Wenn wir uns im tiefsten Winter nach einem wunderbar warmen Sommertag sehnen, empfinden wir in der Gegenwart Kälte und Unzufriedenheit – und verbinden den Gedanken an die Zukunft und den kommenden Sommer mit Wärme und Vorfreude.
Die Sehnsucht hat allerdings noch ein weiteres Talent: Sie treibt uns an. Bleiben wir bei unserem Beispiel: Wenn wir im dunklen und kalten Winter bereits den Sommerurlaub in unserem Lieblingsland buchen, löst dies Vorfreude und Motivation bei uns aus. Wir planen unsere Reiseroute, welche Sehenswürdigkeiten wir besuchen wollen und welche die schönsten Strände der Region sind. Gleichzeitig legen wir ein Budget fest und wissen vom Zeitpunkt der Buchung an, wie wir uns finanziell aufstellen müssen, um den Urlaub zu finanzieren. Statt beim nächsten Onlineshopping zuzuschlagen, legen wir einen Teil unseres Geldes vielleicht lieber beiseite, um uns davon die Massage im Hotel leisten zu können. Ein Kreislauf, der sich wie eine Schablone auf nahezu alle Lebenslagen legen lässt: Die Sehnsucht nach einem sportlichen Sieg lässt uns härter trainieren, die Sehnsucht nach unserem Traumjob lässt uns fleißiger lernen und die Sehnsucht nach einem Eigenheim im Grünen lässt uns disziplinierter sparen.